Alzey (as) – „Man kann nicht nicht kommunizieren“, so lautet das erste der fünf Axiome von Paul Watzlawick in seinem Kommunikationsmodell. Watzlawick veranschaulicht, dass die Kommunikation auch von der Beziehung der beiden Gesprächspartner und von ihren Gefühlen beeinflusst wird. Konflikte und Missverständnisse können also entstehen, rein durch z.B. Gestik und Mimik, sog. non-verbaler Kommunikation.
Watzlawick wäre sicher erstaunt, dass eine heutige Gesellschaft, je moderner und fortschritlicher sie zu werden scheint, von immer mehr non-verbalen Konflikten und Missverständnissen geprägt wird. Es scheint geradezu, als wolle man wissentlich missverstehen.
So sind es neben Mimik und Gestik nun auch Kleider, Trachten und Maskerade, auch und gerade im interkulturellen Austausch, die verletztend, anmaßend und sogar kulturell aneignend sein können oder sollen.
Mannheimer BuGa und der Versuch politisch korrekt sein zu wollen
Jüngstes Beispiel ist wohl das AWO Senioren-Ballett-Rheinau, das mit seiner „Weltreise mit dem Traumschiff“ eine bunte Tanz-Weltreise, samt landestypischer Verkleidung auf der Mannheimer Bundesgartenschau darbieten wollte. Dann hagelte es jedoch Kritik und Verbote seitens der BuGa Leitung, man würde Klischees bedienen und gar kulturelle Aneignung betreiben.
So wurde beispielsweise ein mexikanisches Outfit mit Sombrero und Poncho verboten – später einigte man sich darauf, den Poncho nutzen zu dürfen und nur den Sombrero weg zu lassen.
Doch gerade der Sombrero stammt ursprünglich aus Spanien – wurde also eher von den indigenen Völkern übernommen.
Der erlaubte Poncho selbst widerum stammt aus dem südamerikanischen Raum und wäre, wenn überhaupt, hier kritisch zu betrachten.
Logik und Fakten scheinen bei dem Thema kultureller Aneignung jedoch nicht immer das Maß der Dinge zu sein.
„Dass die Wächter der kulturellen Korrektheit beim Poncho nicht so empfindlich reagieren wie beim Sombrero, ist insofern erstaunlich, als es sich bei dem Umhang – im Wesentlichen eine Decke mit einem Loch für den Kopf – ja tatsächlich um eine original indianische Errungenschaft handelt, während der Sombrero schon eine Folge europäischen Kulturtransfers in die Neue Welt ist. Hüte im engeren europäischen Sinne kannten die Mapuche, Inka und Azteken nicht.“ schreibt hierzu z.B. Matthias Heine in der WELT
Es bleibt wohl die Frage: Wie kann man ein Land landestypisch darstellen, ohne auch die landestypische Kleidung zu nutzen?
Europa-Park bittet Bundesgartenschau-Ballett in voller Kleidung zum Tanz
Ein befüchteter´Shitstorm´, wie man ihn bei solchen Themen in den sozialen Medien immer wieder erlebt, blieb den Seniorinnen glücklicherweise erspart, im Gegenteil, man wurde erst richtig auf die rüstigen Damen aufmerksam.
Wie aus einer Pressemitteilung von Deutschlands größtem Freizeitpark, dem Europa-Park in Rust, hervorgeht, hat dieser die 17-köpfige Damengruppe nun für eine Aufführung ihres Programms „Weltreise mit dem Traumschiff“ eingeladen.
In der Mitteilung heißt es: „Im Europa-Park ist das Originalprogramm der Damen zwischen 60 und 82 Jahren ausdrücklich gewünscht.“
Europa-Park-Inhaber Roland Mack: „Wir sind als Europa-Park schon immer für alle Kulturen offen und stehen genau wie das AWO-Ballett für Vielfalt und Toleranz. Wir freuen uns sehr auf die Damen, ihre Sombreros und alles, was sonst noch dazugehört.“
Das genaue Auftrittsdatum des AWO-Tanzballetts im Europa-Park wird noch bekanntgegeben. Voraussichtlich findet die Aufführung am „Tag der Arbeit“, dem 1. Mai 2023, statt.
Was ist eigentlich kulturelle Aneignung?
Der Soziologe Lars Distelhorst hat sich mit der Klärung der eigentlichen Begriffsdefinition „kulturelle Aneigung“ bemüht und diesem Thema auch ein Buch gewidmet. Eine „kulturelle Aneignung“ kann er im vorliegenden BuGa-Fall nicht erkennen, da kulturelle Aneigung eine stark überlegene Kultur voraussetzt, die sich von einer unterlegenen, gegen deren Willen, etwas aneigne. So sieht er es auch das Kimonoverbot bei einem Japantanz der AWO-Tangruppe übermoralisch kritisch: „Japan ist G7-Staat und war selbst Kolonialmacht. Ein Machtungleichgewicht gibt es da nicht.“ erklärt Distelhorst gegenüber dem WDR.
Hessischer Rundfunk streicht Biebelnheimer Horny-Hornets aufgrund Indianer-Figur aus TV-Übertragung
Wie gehen die Alzeyer Tanzgruppen mit dem Thema um? Wir haben uns einmal umgehört.
Seit Jahren sind zum Beispiel die Biebelnheimer Horny Hornets des TJV Biebelnheim eine feste Größe in der hessischen Flörsheimer Fastnacht.
Die diesjährige TV-Sitzung wurde am 18. Februar 2023 im Hessischen Rundfunk ausgestrahlt.
Die Horny Hornets hatten sich für diese Saison themenmäßig auf Western eingestellt, doch dies war für den HR offensichtlich nicht tragbar.
„Man hat uns rein wegen der darin vorkommenden Indianerfigur aus der TV-Ausstrahlung gestrichen, dabei haben wir die Show so angelegt, dass dieser freundschftlich mit den Cowboys zusammen tanzt. Indianer gab es nun mal in der Westernzeit, wenn ein Indianer nun nicht einmal mehr im positiven Kontext gezeigt werden darf, dann wird es tatsächlich problematisch und man fragt sich worum es wirklich noch bei der Sache geht“, so Tanz-Trainerin Nina Vuidar-Holz.
„Ich persönlich ziehe mir den Schuh der kulturellen Aneigung und Rassismus nicht an, man geht ja von sich selbst aus, wer darin solches sehen möchte, sollte sich vielleicht selbst hinterfragen, wir sind in einem Alter, wir sind mit so etwas groß geworden sind und finden es toll, gerade als Indianer bzw. meist als Häuptling verkleidet, dieser hat doch etwas majestetisches und hoheitliches und wirkt eher positiv – und genau so wollen wir es auch herüber bringen; positiv“, erklärt Vuidar-Holz.
Mauchenheimer Tanzformation Impressive: „Kennen keine Showtanzgruppe, die negative Intentionen hätte“
Die Mauchenheimer Tanzformation Impressive begeisterte in diesem Jahr mit ihrer Show „Aladdin – eine Reise durch Agrabah“ mit welcher Sie beim Showtanzturnier im März in Undenheim nicht nur Platz 1 belegten, sondern gleichzeitig den Wanderpokal für die Tageshöchstleistung und den Preis für das schönste Kostüm für sich gewinnen konnten!
Doch auch die Mauchenheimer Tanzgruppe findet es müssig, neue Themengebiete für Tanzaufführungen zu finden.
„Eigentlich hatten wir uns das Thema AFRIKA für die neue Saison vorgenommen, sind jedoch schnell davon abgekommen, da gerade dieses Thema Anlaß für Missverständnisse geben kann“ erklären Choregrafin Katharina Böhner und Magdalena Sauder im Gespräch mit der Alzeyer-Zeitung.
Das Thema scheint brisant, beim gestrigen Treffen in Mauchenheim war auch ein Team des SWR anwesend, um über diese Thematik für die Sendung „Zur Sache Rheinland-Pfalz“ zu drehen (Sendetermin voraussichtlich Do, 27.04.2023, 20.15Uhr).
Im Netz wurde die Tanzgruppe bei Recherchen zu der Thematik auf eine andere Tanzgruppe aufmerksam, die nach einem Post ihres Tanzes einen regelrechten Shitstorm aufgrund ihrer Kostümierung erleben musste. Obwohl der Tanz selbst bei den lokalen Aufführungen sehr gut ankam, waren es einmal mehr fremde Menschen, die sich das Mandat aneigneten für andere Kulturen zu sprechen – ein Phänomen, das beim Vorwurf der kulturellen Aneignung immer wieder aufzutauchen scheint.
„Showtanz hat generell nicht die Intention Themen negativ darzustellen, im Gegenteil“ erklärt Sandra Grum, 1. Vorsitzende des Vereins SV Mauchenheim e.V., dem die Tanzformation angehört, „die Thematik der kulturellen Aneignung erschwert unsere Arbeit etwas, denn eigentlich wollen unsere Mädels nur tanzen und unterhalten und zu keinem Zeitpunkt irgendjemanden verletzen , im Gegenteil, eigentlich ist es eher als eine Wertschätzung der Kultur und den jeweiligen Ländern gegenüber gedacht“, so die Vorsitzende.
„Showtanz ist für uns die Verkörperung eines bestimmten Themas mit passenden, selbstgeschneiderten Kostümen, abgestimmter Musik und einer Kombination aus verschiedenen Tanzstilen und Elementen, wie Jazz, Ballett, Hip-Hop, Modern Dance etc.
Ideen / Inspiration holen wir uns aus Musicals, Filmen, Ländern, der Tierwelt, Arbeitswelt etc. und soll in keinster Weise angreifend oder anstößig gemeint sein – im Gegenteil: wir wollen unserem Publikum das jeweilige Thema näher bringen und unsere Faszination in Form einer Choreografie zum Ausdruck bringen.“ erklären Böhner und Sauder.
In der Vorbereitung steckt dabei viel Herzblut & Arbeit: Kostüme, Musik, Requisiten, Choreografie – alles soll zusammenpassen und so gut wie möglich das Thema treffen.
Die Idee zum Thema Afrika war ebenfalls positiv, einen Ausschnitt aus der afrikanischen Kultur mit Musik- und Tanzelementen des zweitgrößten Kontinents der Erde auf die Bühne bringen und die Wertschätzung und Respekt für diese Kultur zu zeigen.
Die Idee dieses Themas ging dabei mit vielen Recherchen einher „wir haben uns mit dem Themengebiet gründlich befasst und versucht, uns einen guten Überblick zu verschaffen. Wichtig hierbei: so viel Wissen wie möglich aneignen, um diesem Thema gerecht zu werden. Eine respektvolle Darstellung war für uns selbstverständlich.“
Gründe für das Verwerfen des Themas waren dann jedoch, dass es als kulturelle Aneignung aufgefasst werden könnte, Angehörige dieser Ethnie könnten sich missverstanden fühlen, es könnte zur Förderung von Stereotypen führen und einen Shitstorms auslösen.
„Eine ordentliche und angepasste Darstellung unseres Themas bzw. Tanzes ist uns jedes Jahr aufs Neue immens wichtig und soll unserem Publikum Freude beim Zuschauen bereiten. Wir sind sensibilisiert und hoffen, dass wir mit unseren Tänzen auch in Zukunft auf Begeisterung stoßen.“ erklären die Tanzlehrerinnene.
Welches Thema im neuen Jahr denn nun kommen wird, ist bisher noch immer offen, aktuell liegt „Moulin Rouge“ weit vorne, näher darauf eingehen wolle man jedoch noch nicht, man versprach aber, dass es „anders sein wird, als man vielleicht annehmen würde“ – man darf also gespannt sein.
Wer die Gruppe einmal LIVE erleben möchte, hat übrigens am 06. Mai 2023 in Alzey-Framersheim beim Showtanzturnier die Möglichkeit dazu.
Alzeyer Dance Society e.V. bisher nicht betroffen – Tanz als Anerkennung für die Länder und Kulturen
Im Gespräch mit Christine Hoppe, der ersten Vorsitzenden der Dance Society e.V. erklärt diese: „Wir hatten bis dato noch keine Probleme dieser Art, themenmäßig sind wir auch eher neutral, in diesem Jahr waren es u.a. ´Malicefint´, die Männer hatten ´THOR´ als Thema, unsere Damen nahmen ´Wenn Hausfrauen träumen´, also alles Punkte, die aktuell glücklicherweise noch unkritisch zu sein scheinen.“
„Auch für die kommende Saison sind wir eigentlich frei mit Themen wie Nationalitäten oder Hautfarben; generell muss ich jedoch auch erwähnen, dass wir in keinster Weise irdendjemanden verletzten wollen würden, aktuell ist es aber offensichtlich Mode, dass man überall etwas negatives sehen möchte“, so Hoppe.
Vor rund rund 15 Jahren gab es wohl auch einmal einen Indianer in einer der Tanzformationen der Dance Society e.V., „Jedoch hatten wir diesen niemals mit einer negativen Absicht dahinter eingebaut, es passte einfach thematisch“ erklärt Hoppe, die froh ist, bisher von einem Online-Shitstorm oder Hetz-Kampagne verschont worden zu sein.
Zu den Kolleginnen aus Mauchenheim erklärt die Vorsitzende: „Ich würde das auseinandersetzen mit Themem wie Afrika eigentlich als Kompliment sehen, dass man sich damit beschäftigt, mit der Kultur, den Länder, dem Kontinent und ganz klar auch das Interesse damit weckt – alles eigentlich positive Aspekte und Punkte“, erklärt die selbst lange Jahre aktive Tänzerin.