Kein Hochkommen möglich: Selbst mit einem gut ausgestatteten Rollstuhl ist diese Bordsteinkante unweit des Wöllsteiner Seniorenzentrums nicht zu überwinden. Bild: Kreisverwaltung Alzey-Worms/Anke Pipke

Lieber Rinnen und Absenkungen als hohe Bordsteinkanten / Beirat will sensibilisieren

Zu hohe Bordsteinkanten, schlecht platzierte Fahrradständer und zu weit auf dem Gehweg parkende Autos. Besonders für Seh- und Gehbehinderte oder Eltern mit Kinderwagen sind sie wahre Hindernisse im öffentlichen Raum. Der Rollstuhl kommt häufig nicht weiter, der Rollator muss erst mühsam angehoben werden, mit dem Kinderwagen ist kein Durchkommen. Der Behindertenbeirat des Landkreises Alzey-Worms möchte die breite Öffentlichkeit, Kommunen, Immobilieneigentümer und Geschäftsleute sensibilisieren, den öffentlichen Raum und die ganze Ortsgemeinde so zu gestalten, dass sie auch für Bürgerinnen und Bürger mit Einschränkungen erlebbar bleiben. Eine Begehung in Wöllstein zeigt beispielhaft sowohl die Tücken für die Behinderten im Alltag als auch Maßnahmen, wie die Probleme umgangen werden können.

„Teilhabe ermöglichen“

„Uns ist es ein wichtiges Anliegen, auch behinderten oder beeinträchtigten Menschen die Teilhabe am Leben zu ermöglichen“, betonte Landrat Heiko Sippel. Dabei spiele die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum eine außerordentliche Rolle. Der Behindertenbeirat hat dafür einen Aktionsplan aufgestellt, die Besichtigungen vor Ort sind ein wichtiger Punkt davon. Gemeinsam mit Seh- und Gehbehinderten die Lage vor Ort zu betrachten und somit die Wahrnehmung für kritische Stellen zu schärfen, ist das Ziel. Sollten sich Schwachpunkte gerade an gut frequentierten Wegen zeigen, können sie mit höherer Priorität beseitigt werden, regt Nicole Becker-Mutschler, Mitarbeiterin des Bauamts des Kreises Alzey-Worms, Beauftragte für barrierefreies Bauen und Mitglied des Behindertenbeirats, an.

Der Wöllsteiner Jochen Heberle erklärt den Teilnehmern der Begehung, dass Bordsteinkanten für viele Rollstuhlfahrer ein großes Hindernis sind. Bild: Kreisverwaltung Alzey-Worms/Anke Pipke

„Hier haben wir es mit einer Bordsteininsel zu tun“, erklärt etwa der Wöllsteiner Logopäde Jörg Böhme bei der Begehung und zeigt auf das Areal mit Gemeindezentrum, Sozialstation und Seniorenzentrum. Die vielfältigen Angebote locken regelmäßig viele Besucher, doch für Gehbehinderte stellt der allumfassende Bordstein ein Problem dar. Böhme schlägt als Möglichkeit zur schnellen Abhilfe vor, an besonders gut frequentierten Stellen Keile an die Kanten zu legen.

Auch der Behindertenparkplatz am Gemeindezentrum ist durch eine verwinkelte Einfassung so verbaut, dass die Parkenden Mühe haben, auf dem Platz zurecht zu kommen, erzählt Beiratsmitglied Dorit-Gisela Schmücker aus ihrem Alltag.

Ortsgemeinde mit breitem Angebot

Überall dort in Wöllstein, wo Bordsteine bereits abgesenkt oder durch Rillen ersetzt worden sind, können Rollstuhl oder Rollator problemlos unterwegs sein. So zum Beispiel im Ortskern, an der Ernst-Ludwig-Straße. Dort steht auch das Rathaus der Ortsgemeinde, ausgerüstet etwa mit einem barrierefreien Zugang und Aufzug.

„Es ist schön zu sehen, dass Wöllstein eine so gute Infrastruktur zu bieten hat“, hebt Andrea Maurer, Leiterin der Sozialabteilung des Kreises, hervor und verweist auf die zentrale Lage von Apotheke, Bäcker, Blumenladen und Lebensmittelmarkt, die barrierefrei begehbar sind. Auch die kleinen Fußwege, die es ermöglichen, die durch regen Autoverkehr belastete Alzeyer Straße zu umgehen, seien ein Pluspunkt für solche, die die engen Gehwege lieber meiden.

Lenkungsausschuss nimmt alle mit

Michael Kohn, Beigeordneter der Ortsgemeinde Wöllstein, und Alfons Schnabel, Beigeordneter der Verbandsgemeinde, nehmen die Anregungen des Behindertenbeirats gerne entgegen. „Wir sind sehr offen dafür“, sagt Kohn. Bei dem Bauprojekt der neuen Kita Am Hinkelstein gebe es beispielsweise einen Lenkungsausschuss, bei dem sich alle Bürger einbringen können. Ein solches Gremium soll es künftig bei jeglichen größeren Projekten geben. Auch bei dem touristischen Wasserturm-Projekt werde das Erlebnis für Geh- und Sehbehinderte mitgedacht, hebt Kohn hervor.

„Wir haben als Gesellschaft in den vergangenen 10 bis 15 Jahren schon viel in Sachen Barrierefreiheit dazugelernt“, blickt Sippel zurück. Das fange beim Öffentlichen Personennahverkehr mit den Niederflurbussen an und reiche über den barrierefreien Tourismus bis zu Vorgaben bei Bauprojekten. Am Ende ist man damit aber noch lange nicht